Der Begriff Methodik kommt aus dem Griechischen und bedeutet "die Kunst des Weges zu etwas hin". Methodik beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie Lehrinhalte vermittelt werden. Im Idealfall so, dass ein möglichst nachhaltiger Lerneffekt erzielt wird.
Obwohl jeder Mensch auf individuelle Art und Weise lernt, gibt es allgemein anerkannte Leitlinien, wie Sie am besten vorgehen, um möglichst effizient zu trainieren.
Mit grundlegenden Beispielen beginnen und den Schwierigkeitsgrad langsam steigern, ist der wichtigste methodische Grundsatz des Schachtrainings.
Schach spielen ist ein Metier, bei dem aufbauendes Wissen ganz besonders gefragt ist. Damit Sie kompliziertere Stellungen richtig einschätzen können, ist ein hohes Maß an grundlegenden Kenntnissen über vergleichsweise einfachere Stellungen unerlässlich.
Ein häufig vorkommendes Missverständnis besteht darin, die Schwierigkeitsstufe eines Beispiels an der Anzahl der noch am Brett vorhandenen Figuren zu bemessen. Eine zwingende Korrelation besteht allerdings nicht. Es gibt auch Stellungen mit wenigen Figuren, die unglaublich kompliziert sind.
Alle nun folgenden praktischen Beispiele zur Veranschaulichung methodischer Grundsätze stammen aus dem Endspiel, und hier wiederum aus Bauernendspielen. Das sind Endspiele, bei denen neben den beiden Königen nur mehr Bauern am Brett sind. Selbstverständlich gelten die methodischen Empfehlungen sinngemäß auch für das Training anderer schachlicher Teilbereiche.
Wenn Sie grundlegende Stellungen mit König und Bauer gegen König nicht richtig einschätzen können, ist es für Sie ungleich schwieriger, sich in komplizierteren Stellungen dieser Art zurechtzufinden.
Was soll Weiß am Zug spielen und wie lautet das Ergebnis bei beidseitig bestem Spiel?
Nach 1.c7 ist der schwarze König in Zugzwang und muss das Umwandlungsfeld c8 verlassen. Der weiße König gelangt nach d7 und erhält damit die Kontrolle über dieses entscheidende Feld. Es ist nicht zu verhindern, dass der Bauer zur Dame geht, Weiß gewinnt.
Um Ihr Verständnis weiter auszubauen, empfehle ich Ihnen Übungen mit minimalen Stellungsveränderungen. Die Diagrammstellung bietet einige Möglichkeiten dazu. Beispielsweise könnte der Bauer auf einer anderen Linie stehen oder der König nicht seitlich, sondern hinter seinem Bauern. Dabei gilt es herauszufinden, ob sich etwas ändern würde, und wenn, was.
Eine ebenso wichtige Rolle spielt die Betrachtung eines Beispiels im Hinblick auf das Zugrecht, im Schach zugleich auch Zugpflicht.
Wäre in der Diagrammstellung nämlich Schwarz am Zug, würden sich nach 1. ... Kd8 die Könige gegenüberstehen. Weil kein König ein Feld betreten darf, das vom gegnerischen König gedeckt wird, gelingt es auf diese Weise, sich dem Gegenüber entgegenzustellen und ihm so den weiteren Weg nach vor zu versperren. Man sagt auch, "Schwarz kann die Opposition behaupten". Der schwarze König kann vom Umwandlungsfeld nicht vertrieben werden und die Partie würde remis enden.
Das bedeutet, dass in diesem Beispiel der Partieausgang vom Zugrecht abhängig ist.
Wenn Sie verstanden haben, worauf es ankommt, sollten Sie den Schwierigkeitsgrad des nächsten Beispiels leicht erhöhen, die Betonung liegt auf leicht.
Das könnte beispielsweise so aussehen.
Der Bauer ist viel weiter hinten und hat dadurch einen deutlichen längeren Weg bis zur letzten Reihe. Außerdem ist es Schwarz gelungen, die Opposition zu behaupten.
Kann Weiß seinen Bauern trotz dieser Hindernisse zur Dame führen und gewinnen?
Ja. Mit dem Reservetempo 1.c4 wird der gegnerische König aus der Opposition verdrängt.
1. ... Kb7 Schwarz ist in Zugzwang und muss dem gegnerischen König Platz machen. Nach 2.Kd6 Kc8 3.Kc6 Kb8 4.Kd7 Kb7 5.c5 lässt sich der Bauer nicht mehr aufhalten.
Erneut bieten minimale Stellungsveränderungen Gelegenheit, Ihr Verständnis zusätzlich zu vertiefen. Haben Sie verstanden, welchen Unterschied es macht, ob ein König vor, seitlich oder hinter seinem Bauern steht, spricht nichts dagegen, sich an noch kompliziertere Aufgaben heranzuwagen. Dazu gehören etwa Beispiele, bei denen die Könige vom Bauern weiter entfernt sind.
Das könnte beispielsweise so aussehen.
Nach wie vor Grundlagentraining mit König und Bauer gegen König.
Diesmal steht der weiße König aber hinter seinem Bauern, während der schwarze König vom Geschehen überhaupt weit entfernt ist.
Gelingt die Umwandlung des Bauern in eine Dame oder endet die Partie remis?
Weiß gewinnt, indem er den König so vor seinen Bauern bringt, dass Schwarz nicht die Opposition erreichen kann.
Weiß braucht stets drei Züge, um nach d4, c4 oder b4 zu kommen. Schwarz braucht nach d6 (über d7) und c6 jeweils drei Züge, nach b6 aber vier. Deshalb: 1.Kc2 Ke7 2.Kb3 Kd6 3.Kb4 Kc6 4.Kc4 Kb6 5.Kd5 und 1-0.
Für die Entwicklung Ihres Verständnisses ist es immens wichtig, alles zu hinterfragen. Der erste Plan in unserem Beispiel ist meistens, mit dem König sofort nach d4 zu gehen. Hier ist wichtig, nicht daran festzuhalten, sondern weitere Überlegungen anzustellen.
Verblüffend ist, dass es tempomäßig keinen Unterschied macht, ob sich der weiße König diagonal oder entlang einer geraden Linie bewegt.
Anders als bei der mathematischen Betrachtung eines Quadrats, sind die Seiten und Diagonalen eines Schachbretts gleich lang. Das widerspricht stark der Erfahrung des täglichen Lebens.
Nachdem Sie sich mit dem Endspiel König und Bauer gegen König beschäftigt haben, wäre der nächste Schritt, die Anzahl der Bauern zu erhöhen. Auch das sollte in langsamen Schritten geschehen.
Weil ich aber gerne Spieler und Spielerinnen aller Spielstärken ansprechen möchte und deshalb den Schwierigkeitsgrad meiner Beispiele stark streue, mache ich jetzt einen großen Sprung zu einem Beispiel mit gleich acht Bauern.
Der Bauernzuwachs bedeutet, dass die Stellungen dadurch meistens nicht nur schwieriger, sondern auch komplexer werden. Das heißt, dass ganz neue Themen ins Spiel kommen.
Dazu gehören etwa die verschiedenen Arten von Freibauern. Sie sind in allen Endspielen ein wichtiger Faktor, ganz besonders aber in Bauernendspielen.
Zwei in Bauernendspielen immer wieder vorkommende Themen sind der gedeckte und der entfernte Freibauer.
Weiß hat einen gedeckten Freibauern auf d5, den der schwarze König nicht erobern kann und dessen Quadrat er nicht verlassen darf. Schwarz wiederum hat einen entfernten Freibauern auf f4.
Gedeckter Freibauer auf der einen Seite, entfernter Freibauer auf der anderen. Wie geht die Partie bei beidseitig bestem Spiel aus?
Die Partie endet remis. Keiner der Freibauern bringt eine Seite in entscheidenden Vorteil.
Weiß hat keine bessere Möglichkeit, als seinen gedeckten Freibauern zur Ablenkung des Königs zu verwenden. Nach 1.d6 Ke6 2.Kxf4 Kxd6 3.Kf5 Kd7 4.Ke5 Kc6 5.Ke6 Kc7 6.Kd5 Kb6 7.Kd6 ist es ihm zwar gelungen, den gegnerischen König immer weiter abzudrängen, dieser findet aber mit 7. ... Ka5 ein Schlupfloch und Schlagen auf c5 führt zu Patt.
Weil ein König im Bauernendspiel das Quadrat eines gedeckten gegnerischen Freibauern in den allermeisten Fällen nicht verlassen darf, bindet dieser ihn gewissermaßen an sich, was wiederum den königlichen Bewegungsspielraum mehr oder weniger stark einengt. Das ist der größte Vorteil eines gedeckten Freibauern und einer der wichtigsten Gründe, weshalb er in der Regel auch stärker ist als sein entferntes Gegenüber.
In der Diagrammstellung rettet Schwarz nur der Trick mit dem Patt. Stünde der schwarze Bauer auf a5 statt auf a6, würde Weiß gewinnen, weil in diesem Fall die schwarzen Damenflügelbauern verloren gingen.
Das Erlernen neuer Motive ist essenziell für erfolgreiches Schachtraining.
In Beispiel 1 wird das Thema Zugzwang angeschnitten, in Beispiel 2 das Reservetempo, in Beispiel 3 das Diagonalparadoxon und in Beispiel 4 der gedeckte und entfernte Freibauer. Schon aus diesem vergleichsweise kleinen Themenkreis lassen sich unzählige Beispiele mit neuen Motiven finden.
Je sattelfester Sie bei den bisher gezeigten Motiven sind, desto leichter fällt es Ihnen, sich neue Motive anzueignen.
Schwarz hat nicht nur einen Mehrbauern, sondern auch den aktiveren König und einen entfernten Freibauern.
Zusätzlich sind auch die weißen Damenflügelbauern bedroht.
Wie würde das Ergebnis dieser Partie bei fehlerlosem Spiel lauten?
Weiß gewinnt.
1.a5 droht b5 und zwingt den König, sich dem Damenflügel zu nähern. Nach 1. ... Ke5 2.b5 Kxd5 3.bxa6 Kc6 4.Kg4 gerät Schwarz in Zugzwang und ein Bauer nach dem anderen geht verloren. 4. ... d5 5.Kxg5 d4 6.Kf4 d3 7.Ke3. Schwarz verliert, weil er irgendwann mit dem König ziehen muss.
Eigentlich hat alles danach ausgesehen, als würde Schwarz den ganzen Punkt holen. Das überraschende Motiv Durchbruch hat den Sachverhalt aber komplett durcheinandergewirbelt.
Das Erkennen überraschender Motive ist ein leistungsrelevanter Faktor. Auch wenn Sie von Doppelbauern bisher überhaupt nichts gehalten haben, sind Sie vielleicht verblüfft.
Beginnen Sie mit leichten Beispielen und versuchen Sie stets, so gut wie möglich zu verstehen, warum etwas so ist, wie es ist. Auf diese Weise gelingt es Ihnen am besten, später auch schwierigere Beispiele zu durchschauen.
Wägen Sie sorgfältig ab, was es Ihnen bringt, sehr ins Detail zu gehen, oder ob es nicht besser für Sie ist, sich möglichst breit aufzustellen.
Auch wenn es für Sie spannend sein mag, bringt Ihnen für Ihr eigenes Spiel nicht so viel, wenn Sie alle Feinheiten der Reti-Studie kennen, dafür aber gar nichts über die Verteidigung mit einem Bauern weniger im Turmendspiel wissen.
Lassen Sie sich niemals entmutigen, wenn Sie etwas nicht sofort verstehen. Denken Sie daran, dass es nicht nur Ihnen so geht.
Achten Sie auf Pausen. Bis zur vollkommenen Erschöpfung zu trainieren, ist nur in ganz seltenen Ausnahmefällen eine gute Idee.
... und Sie an weiteren Tipps interessiert sind, wie Sie Ihre Spielstärke ganz grundsätzlich verbessern können, sind Sie herzlich eingeladen, einen Blick auf meine Homepage zu werfen.