Dieser Grundgedanke des Schachtrainings setzt voraus, dass Sie Ihre Fehler auch kennen. Je genauer das der Fall ist, desto größere Chancen haben Sie, die gleichen Schnitzer in Zukunft zu vermeiden.
Um aus Ihren Missgeschicken zu lernen, ist es unumgänglich, dass Sie Ihre eigenen Partien gründlich und zeitnah unter die Lupe nehmen. Das gilt insbesondere für Partien, die Sie verloren haben oder in denen Sie auf Verlust gestanden sind.
Dabei sollte nicht allzuviel Zeit zwischen gespielter Partie und nachträglicher Betrachtung vergehen, denn viele Details Ihrer Erinnerung spielen eine wichtige Rolle, etwa beim Vergleich, was Sie in der Partie gedacht und gerechnet haben und was die objektive Analyse dann tatsächlich ergeben hat. Je länger das Spiel vorbei ist, desto schwieriger wird das in der Regel.
Ziel einer sorgfältigen Analyse ist es, der schachlichen Wahrheit möglichst nahe zu kommen, und zwar in einem für Sie individuell vernünftigen Verhältnis zum Aufwand. Letzteres ist ganz wesentlich und sei ausdrücklich betont. Ohne computertechnische Unterstützung ist das wahrscheinlich kaum bis gar nicht möglich, nichtsdestotrotz bleiben oft viele Fragen offen.
Weil ich gerne Spieler und Spielerinnen aller Spielstärken ansprechen möchte, ist der Schwierigkeitsgrad meiner Beispiele stark gestreut. Sie finden an anderer Stelle meiner Website einfachere, aber auch schwierigere Beispiele.
Ohne moderne Computertechnik ist es extrem schwierig bis nahezu unmöglich, objektive Gegebenheiten auf dem Brett festzustellen und alle eigenen Möglichkeiten und Fehler zu finden.
Angenommen, Sie haben in Beispiel 1 überlegt, ob Sie das Qualitätsopfer auf e6 riskieren sollen.
Weiß hat das Läuferpaar und steht wesentlich aktiver. Zudem ist der Bauer auf c4 schwach.
Soll Weiß mit 1.La7 den gegnerischen Turm angreifen, mit 1.Txc4 den Bauern schlagen oder ist das Qualitätsopfer 1.Txe6 Gewinn bringend?
1.Txe6 gewinnt, 1.La7 führt zu Ausgleich, 1.Txc4 verliert nach 1. ... Dd3 mit der Idee Tb1.
Die Annahme des Opfers mit 1. ... fxe6 verliert nach 2.Dxe6+ gefolgt von Dxe5 völlig chancenlos und auf 1. ... Dc8 ist 2.Ld7 möglich. Nach Dxd7 3.Txg6+ hxg6 4.Dxd7 gewinnt Weiß.
Den Einschlag auf e6 mit zwei Bauern für die Qualität und schlechter schwarzer Königsstellung werden Sie je nach Spielstärke für eher riskant bis klar gewonnen eingeschätzt haben. Die beiden anderen Züge mit Dame und Läufer, die darüber entscheiden, ob der Zug Txe6 wirklich spielbar ist, sind ohne Computerhilfe leicht zu übersehen.
Versuchen Sie die wichtigsten konkreten taktischen und strategischen Möglichkeiten zu beleuchten, die sich innerhalb der Partie ergeben haben oder ergeben hätten können.
Vergleichen Sie die tatsächlichen objektiven Gegebenheiten auf dem Brett mit dem, was Sie sich während der Partie gedacht haben. Versuchen Sie dabei, motivtheoretische, rechentechnische und das Vorstellungsvermögen betreffende Defizite zu benennen und zu verbessern.
Eine der wichtigsten analytischen Punkte ist das Erkennen jener entscheidenden Situationen, die für das Partieergebnis verantwortlich waren, also warum Sie eigentlich gewonnen, verloren oder remisiert haben.
Dabei kann es durchaus sein, dass es in einer Partie mehrere Wendepunkte gab, die von einer Gewinn- in eine Verluststellung geführt haben und umgekehrt. Diese kritischen Punkte in einem Spiel sind sehr wichtig, auch für Ihr weiteres Vorgehen beim Training.
Die Analysegenauigkeit hängt von Ihrer Spielstärke, Ihren Trainingszielen und Ihren praktischen Möglichkeiten ab. Es kann sogar sein, dass es sinnvoll ist, von Partie zu Partie verschiedene Maßstäbe anzulegen.
Mit Sicherheit schadet es nicht, die Partien genauer anzusehen. In der Praxis spielt aber vor allem der Zeitfaktor eine wichtige Rolle. Haben Sie für Ihre Analysen wenig Zeit, macht es Sinn, sich nur mit den allerwichtigsten Punkten in der Partie zu beschäftigen.
Eher nicht zu streng. Die Engine findet fast immer einen besseren Zug. Legen Sie hier bei sich zu strenge Maßstäbe an, können Sie auch mit exzellent gespielten Gewinnpartien unglücklich werden. Es gibt in der Schachgeschichte Partien, die Schönheitspreise bekommen haben, nur weil es damals noch keine Computer gab.
Allerdings gilt grundsätzlich, je besser Sie spielen, desto strenger sollten Sie sein. Die richtige Einschätzung von Ungenauigkeiten ist aber nicht einfach. Versuchen Sie Fingerspitzengefühl zu entwickeln. War jeder Zug ein Fehler, sind Sie zu rigoros, war alles richtig, zu locker.
Nehmen wir an, Sie haben mit Weiß diese Stellung erreicht.
Schwarz hat mit einem Turm mehr bereits deutlichen Materialvorteil und bedroht zudem die Dame. Aufgrund der taktisch zugespitzten Lage gibt es mehrere Züge, die augenscheinlich in Frage kommen.
Was soll Weiß spielen?
1.Dxb5 mit komplizierter, aber ausgeglichener Stellung.
Das naheliegende 1.Dxd8+ hingegen verliert nach 1. ... Txd8 2.e7+ durch das überraschende Zwischenstellen des gegnerischen Turmes mit 2. ... Td5 3.Lxd5 Kh8.
Wenn Sie daneben lagen, sollten Sie auf keinen Fall davon ausgehen, dass es nur Ihnen so erging. Sieht man die Lösung, hat man im Nachhinein oft das Gefühl, dass das eigentlich gar nicht so schwierig war. Das gilt auch bei Partieanalysen.
Aber täuschen Sie sich nicht, der Schein trügt gewaltig.
Kannten Sie das Motiv noch nicht, wäre es unabhängig vom Thema Partieanalyse ideal, wenn Sie es sich merken würden, denn das wäre ein Trainingszugewinn so ganz nebenbei.
Sorgfältige Analysen mit Computerprogrammen sind unumgänglich, um die schachliche Wahrheit herauszufinden und bieten eine gute Grundlage für die Beurteilung einer Partie. Dennoch beschreibt die nüchterne mathematische Bewertung den Spielverlauf gar nicht so genau, wie man das gerne hätte.
Die schachliche Realität ist vielfältiger, als es auf den ersten Blick aussieht.
Verschiedene Engines liefern nicht selten auch verschiedene Bewertungen, die zum Teil erheblich voneinander abweichen können. Wenn Sie Ihre Partieanalysen ausschließlich mit Ihrer Lieblingsengine machen, und das kann durchaus die beste Lösung sein, bekommen Sie gar nicht mit, dass andere Engines bestimmte Stellungen anders beurteilen würden.
Weil auch die Rechentiefe einen mitunter gewichtigen Einfluss auf die Bewertung einer Stellung hat, ist jede computertechnische Analyse von vornherein mit einer gewissen, der Sache innewohnenden Ungenauigkeit behaftet.
Zeigt Ihre Engine riesigen Vorteil oder matt in ein paar Zügen an, sind die Schlussfolgerungen einfach. Sollen Sie aber den stellungsmäßigen Unterschied zwischen einer Bewertung von beispielsweise 0,09 und 0,15 nachvollziehen, sieht die Sache schon ganz anders aus.
Automatische Analysen liefern viele Varianten mit mathematischen Einschätzungen, aber kaum brauchbare Erklärungen.
Selbst wenn der erstgereihte Vorschlag der Engine objektiv der beste Zug ist, muss das nicht zwingend und in jedem Fall der beste Zug für Sie sein.
So wäre es möglich, dass Sie das Spiel mit gutem Grund taktischer gestalten wollten. Ein zweischneidiges Opfer kann computertechnisch inkorrekt sein, die Verteidigung aber so schwierig, dass Sie in der Praxis fast immer gewinnen werden.
Andere Gründe wären beispielsweise, dass Sie danach trachteten, einen bestimmten Stellungstyp zu erreichen/vermeiden, die Stellung zu öffnen/schließen oder ins Endspiel abzuwickeln.
Es gibt Stellungen, da bringt der beste Zug den Gewinn ordentlich in Gefahr.
Weiß hat entscheidenden Vorteil, die Frage ist aber, mit welcher Figur der Bauer auf e6 geschlagen werden soll.
Nehmen Sie mit der Dame, kommt es zu Damentausch und einem leicht gewonnenen Endspiel dank der Mehrfigur.
Spielen Sie hingegen das von manchen Engines favorisierte 1.Dxe6, müssen Sie nach 1. ... Dh4 die einzige Verteidigung 2.Dc3 finden. Hier besteht doch ein erhebliches Risiko, kurz vor dem Ziel noch daneben zu greifen.
Ein weiter hinten gereihter Zug kann selbst für gut vorbereitete Spieler und Spielerinnen sehr unangenehm sein, weil sie ihn noch nie am Brett gehabt haben. Bestimmten Eröffnungsvarianten auszuweichen oder einer vermuteten Vorbereitung zu entgehen, ist nichts Ungewöhnliches.
Vielleicht haben Sie auch einen Plan gefunden, der langfristig gesehen, gar nicht schlechter ist als der Computervorschlag. Bei der Bewertung bestimmter geschlossener Stellungstypen tun Engines sich schwerer.
Die mathematische Betrachtung nimmt keine Rücksicht darauf, ob Sie vielleicht schon zu Partiebeginn übermüdet waren, etwa durch eine schwierige Anreise, oder vor dem Spiel viel Stress hatten. Ebenso außen vor bleiben sportliche Überlegungen.
Beispielsweise können Sie in einem Mannschaftswettkampf durch die Resultate auf den Nachbarbrettern unter Druck geraten, auf Gewinn spielen zu müssen.
... und Sie an weiteren Tipps interessiert sind, wie Sie Ihre Spielstärke ganz grundsätzlich verbessern können, sind Sie herzlich eingeladen, einen Blick auf meine Homepage zu werfen.